Ich bin Hausarzt in einer großen Einzelpraxis in einer kleinen Gemeinde am Neckar zwischen Stuttgart und Heilbronn. Positive Gesundheit beobachte ich schon seit einigen Jahren als Bewegung, aber ich konnte mir nie so richtig vorstellen, wie es in der Praxis eingesetzt werden sollte. Mittlerweile habe ich ein Training bei Positive Health International besucht und wende das Konzept in meiner täglichen Arbeit selbst an.
Ich habe bereits Kurse in Motivierender Gesprächsführung (Miller und Rollnick), die Balintgruppen und in der psychosomatischen Grundversorgung besucht. Als Anthroposophischer Arzt, helfen mir die Kenntnisse in der Anthroposophischen Medizin dabei Patienten anders zu sehen. Aber die Frage, wie Menschen letztendlich ins Handeln kommen, bleibt oftmals noch offen und dabei hilft mir mittlerweile tatsächlich immer öfter das „andere Gespräch“ von Positive Gesundheit. Mit den verfügbaren Tools bereiten Patienten sich vor, machen sich Gedanken (was will ich überhaupt?) und es kommen immer wieder spannende unerwartete Berichte.
Das Großartige ist, dass „das andere Gespräch“ sehr universell einsetzbar ist. Zum Beispiel bei Adipositas, aber auch bei psychischen Erkrankungen wie z.B. Depression. So kam ein Patient bei seinem zweiten Termin mit seinem Spinnennetzdiagramm und berichtete, dass er sich jetzt Gedanken gemacht habe. Sein Beruf in der Finanzbranche frustriere ihn, er wolle etwas Nützliches machen. Zu meinem Erstaunen entwickelte sich das Gespräch ganz von alleine. Er hat jetzt die Ausbildung als Rettungssanitäter begonnen. Auch bei Beschwerden, wie zum Beispiel Tinnitus funktioniert es gut. Die Patienten fokussieren sich auf andere Dinge und das Geräusch wird erträglicher. So berichtete eine Patientin mit Tinnitus im „anderen Gespräch“ mit dem Spinnennetz, dass sie sehr traurig darüber war, dass ihre Fahrradgruppe sich nach der Coronazeit nicht mehr getroffen hatte. Ohne diese Art des Gesprächs wäre ich nie auf so eine Idee gekommen. Ich habe Sie daraufhin darin bestärkt, wieder Kontakt aufzunehmen.
Auch bei meiner eigenen Reflexion hilft mir das Konzept von Positive Gesundheit. So wurde ich beispielsweise kürzlich als Hausarzt (mit orthopädischer Grundausbildung) gefragt, vor dem lokalen Landfrauenverein einen Vortrag über Arthrose zu halten. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich das am Klügsten aufbauen könnte und mich dann selber gefragt: was ist für Patienten selbst wichtig? Wichtig ist z.B. Bewegung, Mobilität, Selbständigkeit bis ins hohe Alter. In so einer Diskussionsrunde geht es jedoch schnell um operative, medikamentöse, physiotherapeutische Möglichkeiten… In meinem Vortrag war es dann sehr interessant zu spüren, dass die Menschen gut über die Definition von Gesundheit im Sinne von Resilienz mitgenommen werden konnten. Dass der Zustand des „vollkommenen Wohlbefindens“ nie erreicht werden kann, war allen Anwesenden klar. So wurde die Diskussion in Richtung „was will und brauche ich? was kann ich tun?“ gelenkt, statt „was kann der Doktor“ oder „die Medizin für mich tun?“. Natürlich können Funktionssport/Rehasport, Physiotherapie, Medikamente, Tapes, Akupunktur, Ernährung, Infiltrationen, Umschläge oder sogar Operationen eingesetzt werden. Jetzt werden die Möglichkeiten jedoch eingesetzt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, das individuell und ständig im Wandel ist.
Es ist ein Arbeiten, wo der Patient als Mensch mehr in den Mittelpunkt gerückt wir und nicht die Krankheit, darin liegt der große Unterschied. Das führt auch dazu, dass die Menschen selbst aktiv werden und selber gestalten können, statt dass wir von außen den Menschen etwas aufdrängen, was sie unter Umständen gar nicht brauchen oder wollen.
Die Arbeit mit Positive Gesundheit ist auch für mich immer noch ein Lernprozess, aber mit kleinen Schritten geht es vorwärts.
Dr. Patrick Delhey – Facharzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie